101. Ein Lämmlein geht und trägt die Schuld

1 Ein Lämmlein geht und trägt die Schuld
der Welt und ihrer Kinder:
Es geht und büßet in Geduld
die Sünden aller Sünder:
Es geht dahin, wird matt und krank,
ergiebt sich auf die Würgebank,
verzeiht sich aller Freuden,
Es nimmet an Schmach, Hohn und Spott,
Angst, Wunden, Striemen, Kreuz und Tod
und spricht: Ich will's gern leiden.

2 Das Lämmlein ist der große Freund
und Heiland meiner Seelen,
denn den hat Gott zum Sünden-Feind
und Sühner wollen wählen.
Geh hin, mein Kind, und nimm Dich an
der Kinder, die Ich ausgethan
zur Straf und Zornes-Ruthen.
Die Straf' ist schwer, der Zorn ist groß,
Du kanst und sollst sie machen los
durch Sterben und durch Bluten.

3 Ja, Vater, ja von Herzens-Grund,
leg' auf, ich will Dir's tragen.
mein Wollen hängt an Deinem Mund,
mein Wirken ist Dein Sagen.
O Wunder-Lieb! o Liebes-Macht!
Du kannst was nie ein Mensch gedacht,
Gott seinen Sohn abzwingen.
O Liebe, Liebe du bist stark,
du streckest den ins Grab uns Sarg,
vor dem die Felsen springen.

4 Du marterst Ihn am Kreuzes-Stamm
mit Nägeln und mit Spießen,
Du schlachtest Ihn als wie ein Lamm,
machst Herz und Adern fließen,
das Herze mit der Seufzer Kraft,
die Adern mit dem edlen Saft
des Purpur-rothen Blutes.
O süßes Lamm, was soll ich Dir
erweisen dafür, daß Du mir
erzeigest so viel Gutes?

5 Mein Lebetage will ich Dich
aus meinem Sinn nicht lassen,
Dich will ich stets, gleich wie Du mich,
mit Liebes-Armen fassen:
Du sollst sein meines Herzens Licht,
und wenn mein Herz in Stücke bricht,
sollt Du mein Herze bleiben.
Ich will mich Dir mein höchster Ruhm,
hiemit zu Deinem Eigenthum
beständiglich verschreiben.

6 Ich will von Deiner Lieblichkeit
bei Nacht und Tage singen,
mich selbst auch Dir nach Möglichkeit
zum Freuden-Opfer bringen:
Mein Bach des Lebens soll sich Dir
und Deinem Namen für und für
in Dankbarkeit ergießen;
und was Du mir zu Gut gethan,
das will ich stets, so viel ich kann,
in mein Gedächtniß schließen.

7 Erweitre Dich, mein Herzens-Schrein,
Du sollt ein Schatzhaus werden
der Schätze, die viel größer sein
als Himmel, Meer und Erden.
Weg mit dem Gold Arabia,
weg Calmus, Myrrhen, Casia,
ich hab' ein Bessers funden.
Mein größter Schatz, Herr Jesu Christ,
ist dieses, was geflossen ist
aus Deines Leibes Wunden.

8 Das soll und will ich mir zu Nutz
zu allen Zeiten machen
im Streite soll es sein mein Schutz,
in Traurigkeit mein Lachen,
in Fröhlichkeit mein Saitenspiel,
und wenn mir nichts mehr schmecken will,
soll mich dies Manna speisen.
Im Durst soll's sein mein Wasserquell,
in Einsamkeit mein Sprach-Gesell,
zu Haus und auch auf Reisen.

9 Was schadet mir des Todes Gift?
Dein Blut, das ist mein Leben,
wenn mich der Sonnen Hitze trifft,
so kanns mir's Schatten geben.
Setzt mir des Wehmuths Schmerzen zu,
so find ich bei Dir meine Ruh,
als auf dem Bett ein Kranker,
und wenn des Kreuzes Ungestüm
mein Schifflein treibet üm und üm,
so bist Du denn mein Anker.

10 Wenn endlich ich soll treten ein
in Deines Reiches Freuden,
so soll dies Blut mein Purpur sein,
ich will mich darein kleiden.
Es soll seyn meines Hauptes Cron,
in welcher ich will für den Thron
des höchsten Vaters gehen,
und Dir, dem Er mich anvertraut,
als eine wohlgeschmückte Braut,
an Deiner Seiten stehen.

Text Information
First Line: Ein Lämmlein geht und trägt die Schuld
Author: Paul Gerhardt (1676)
Language: German
Publication Date: 1848
Topic: Vom Leiden, Sterben und Begräbniß unsers Herrn Jesu Christi; Suffering, Dying and Burial of Christ
Notes: Mel. Ein Lämmlein geht und trägt die Schuld
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