550. Denket doch ihr menschen-kinder

1 Denket doch, ihr menschen-kinder,
An den letzten todes-tag;
Denket doch, ihr frechen sünder,
An den letzten glocken-schlag:
Heute sind wir frisch und stark,
Morgen füllen wir den sarg,
Und die ehre, die wir haben,
Wird zugleich mit uns begraben.

2 Doch, wir eitle menschen leben
Nur was in die augen fällt;
Was nach diesem soll geschehen,
Bleibt an seinen ort gestellt:
An der erde kleben wir,
Leider! über die gebühr;
Aber nach dem andern leben
Will der geist sich nicht erheben.

3 Wo ihr euch nicht selber hasset,
Ach, so legt die thorheit ab;
Was ihr thut, und was ihr lasset,
So gedenkt an euer grab:
Ewig glück und ungelück
Hangt an einem augenblick;
Niemand kan uns bürgen geben,
Daß wir noch bis morgen leben.

4 Ungewissenhafte leute
Zittern vor der todes-pein:
Gute christen wollen heute
Lieber aufgelöset seyn;
Dann sie wissen, daß der tod
ist ein ausgang ihrer noth,
Und gemahlte todten-köpft
Sehn sie an als blumen-töpfe.

5 Vor der sünde soll man zittern,
Weil sie Gottes zorn entzündt;
Aber nicht vor leichenbittern,
Welches gute boten sind.
Einmal müssen wir daran;
Lieber blald dazu gethan!
Laßt uns beute lernen sterben,
Daß wir morgen nicht verderben.

6 Was hilft doch ein langes leben,
Ohne buß und besserung?
Wer nicht will nach tugend streben,
Ach, der sterbe immer jung:
Unsre bosheit nimt nicht ab,
Sondern mehrt sich bis ins grab;
Frey von sünden wird man nimmer,
Sondern alle tage schlimmer.

7 Das doch nur ein tag des lebens
Mochte frey von lastern seyn;
Doch mein wünschen ist vergebens,
Unter uns ist neimand rein.
Beicht und abendmahl geneung,
Wenig von der besserung;
Scherz habt ihr mit Gott getrieben,
Und seyd unverändert blieben.

8 Langes leben, grosse sünde,
Grosse sünde, schwerer tod:
Lernet das an einem kinde,
Dem ist sterben keine noth.
Selig, wer bey guter zeit
Sich auf seinen tod bereit,
Und, so oft die glocke schläget,
Seines lebens ziel erwäget.

9 Jene patienten-stube
Kan uns eine schule seyn:
Fährt ein andrer in die grube,
Wahrlich ihr müßt auch hinen.
Steht ihr auf, so sprect zu Gott:
Heute kommt vielleicht der tod;
Legt ihr euch so fürht im munde:
Heute kommt vielleicht die stund.

10 Stündlich sprecht: in deine hände,
Herr! befehl! ich meinen geist,
Daß euch nicht ein schnelles ende
Unverhoft von hinne reißt.
Selig, wer sein haus bestellt:
Gott kommt oft unangemeldt,
Und des menschen sohn erscheinet,
Zu der zeit, da mans nicht maynet.

11 Das gewissen schläft im leben,
Doch im tode wacht es auf,
Da sieht man für augen schweben
Seinen ganzen lebenslauf.
Alle seine kostbarkeit
Gäbe man zur selben zeit,
Wann man nur geschehne sachen
Ungeschehen könte machen.

12 Darum brauchet eure gaben
Dergestalt in deiser zeit,
Wie ihr wünscht gethan zuhaben,
Wann sich leib und seele scheidt.
Steben ist kein kinderspiel:
Wer im Herren sterben will,
Der muß erstlich darnach streben,
Wie man soll im Herren leben.

13 Diese welt geringe schätzen,
Allen lastern widerstehn,
An der tugend sich ergötzen,
Willig Gottes wege gehn,
Wahre lebens-besserung,
Stete fleisches-züchtigung,
Sich verleugnen, und mit freuden
Schmach um Christi willen leiden.

14 Das sin reglen vor gesunde,
Da man zeit und kräfte hat;
In der letzten todes-stunde
Ist es insgemein zu spat.
Krankheit gleicht der pilgrimschaft,
Keines gibt dem geiste kraft;
Beydes macht die glieder müde,
Und verstöhrt den seelen-friede.

15 Weg mit allem leichgepränge,
So man den verstorbnen hält,
Und dem loben nach der länge:
Dann der baum liegt wie er fällt,
Ach bestellt selbst euer haus,
Machet hier die sachen aus;
Fremde bitten und gebete
Kommen hinten nach zu späte.

16 Sucht Gott selber zu versöhnen,
Greifet selbst nach Christi blut:
Kein gebete wird euch dienen,
Das ihr hier nicht selber thut.
Denke ihr selber in der zeit
Nicht an eure sterblichkeit,
Wahrlich, in der grabes-höle
Sorgt kein mensch für eure seele.

17 Jetzund ist der tag dis heiles,
Und die angenehme zeit:
Aber, leider! meistentheiles
Lebt die welt in sicherheit:
Täglich ruft der treue Gott,
Doch die welt treibt ihren spott:
Ach die stunde wird verfliessen,
Und Gott wird den himmel schliessen.

18 Da wird mancher erst nach öle,
Bey des bräut'gams ankunst gehn;
Und da wird die arme seele
Vor der thüre müssen stehn:
Darum haltet euch bereit,
Füllt die lampen in der zeit,
Sonst erschallt das leid am ende:
Weicht von mir, ihr höllen-brände.

19 In dem ganzen bibel-buche
Kommt mir nichts so schrecklich für,
Als die worte von dem spruche:
Ihr verfluchten, weicht von mir!
Selig, wer davor erschrickt,
Eh er noch den tod erblickt:
Furcht und zittern hier auf erden
Schafft daß wir dort selig werden.

20 Hier in lauter freuden schweben
Macht im tode lauter noth:
Aber auf ein traurig leben
Folgt ein freudenreicher tod:
Drum mit dieser welt hinweg,
Achtet sie für koth und dreck,
Und erhebet eure sinnen,
Daß sie Christum lieb gewinnen.

21 Tödter eure bösen glieder,
Creutzigt euer fleisch und blut;
Drückt die böse lüste nieder,
Brecht dem willen seinen muth:
Werdet Jesu Christo gleich,
Nehmt sein creutz und joch auf euch;
Daran wird euch Christus kennen,
Und euch seine jünger nennen.

22 Auf ein langes leben harren,
Da man täglich sterben kan,
Das gehört vor einen narren,
Nicht vor einen klugen mann.
Mancher spricht bey geld und gut:
Liebes herz, sey wohlgemuth;
Und in vier und zwanzig stunden
Ist die seele schon verschwunden.

23 Ach wie ofte hört man sagen,
Daß ein mensch entleibet sey;
Ach wie mancher wird erschlagen,
Oder bricht den hals entzwey;
Einen andern rührt der schlag
Wohl im sanf-und spiel-gelag;
Mancher schlummert ohne sorgen,
Und erlebet nicht den morgen.

24 Feuer, wasser, luft und erden,
Blitz und donner, krieg und pest,
Müssen unsre mörder werden,
Wenn es Gott geschehen läßt:
Niemand ist vom tode frey,
Und die art ist mancherley;
Ins gemein sind unsre stunden
Einem schatten gleich verschwunden.

25 Nach verfliessung dieses lebens
Haben menschen keine wahl;
Jener reiche rief vergebens
In der pein und in der quaal.
Fremdes bitten hilft euch nicht;
Und wer weiß, obs auch geschicht:
Also fallt in wahrer busse
Eurem Gotte selbst zu fusse.

26 Sammlet euch durch wahren glauben,
Einen schatz der ewig währt,
Welchen euch kein dieb kan rauben,
Und den auch kein rost verzehrt:
Nichts ist ehre, nichts ist geld,
Nichts ist wollust, nichts ist welt;
Alles trachten, alles dichten,
Muß man auf die seele richten.

27 Freunde machet euch in zeiten
Mit dem mammon, den ihr habt;
Lasset von bedrängten leuten
Keinen menschen unbegabt:
Christus nimt die wohlthat an,
Gleich als wär es ihm gethan,
Und der armen bettler bitten
Hilft euch in des himmels hütten.

28 Euer wandel sey im himmel,
Da ist euer bürgerrecht;
Leb in diesem weltgetümmel
Unbekant, gerecht und schlecht:
Flieht vor aller sclaverey,
Machet eure seele frey,
Daß sie sich in Gott erhebt,
Und hier als einfremdling lebt.

29 Diese gabe zu erlangen,
Sparet das gebete nicht;
Netzt mit thränen eure wangen,
Bis daß Gott sein herze bricht.
Rufet Jesu Christo nach,
Wie er dort am creutze sprach:
Vater1 nim an meinem ende
Meine seel in deine hände.

Text Information
First Line: Denket doch ihr menschen-kinder
Language: German
Publication Date: 1826
Topic: Vom Tode und der Auserstehung; Death and Resurrection
Notes: Mel. Werde munter mein gem.
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