45. O Haupt, voll Blut und Wunden

1 O Haupt, voll Blut und Wunden,
voll Schmerz und voller Hohn,
o Haupt, zu Spott gebunden
mit einer Dornen-Kron,
o Haupt, sonst schön gezieret
mit höchster Ehr und Zier,
jetzt aber hochst schimpfieret!
gegrüaaet seyst du mir.

2 Du edles Angesichte,
dafür sonst schrickt und scheut,
das grosse Welt-Gewichte,
wie bist du so verspeyt,
wie bist du so erbleichet,
wer hat dein Augesicht,
dem sonst kein Licht nicht gleichet,
so schändlich zugericht?

3 Die Farbe deiner Wangen,
der rothen Lippen Pracht
ist hin, und ganz vergangen;
des blassen Todes Macht
hat alles hingenommen,
hat alles hingerafft,
und daher bist du kommen
von deines Leibes Kraft.

4 Nun, was du, Herr, geduldet,
ist alles meine Last
ich hab es selbst verschuldet,
was du getragen hast.
Schau her, hie steh ich armer,
der Zorn verdienet hat,
gib mir, o mein Erbarmer!
den Anblick deiner Gnad.

5 Erkenne mich, mein Hüter,
mein Hirte nimm mich an!
von dir, Quell aller Güter,
ist mir viel Gut's gethan:
dein Mund hat mich gelabet
mit Milch und süsser Kost,
dein Geist hat mich begabet
mit mancher Himmels-Lust.

6 Ich will hier bey dir stehen,
verachte mich doch nicht,
von dir will ich nicht gehen,
wenn dir dein Herze bricht,
wenn dein Herz will erblassen
im letzten Todes-Stoß,
alsdenn will ich dich fassen
in meinen Arm und Schoß.

7 Es dient zu meinen Freuden,
und kommt mir herzlich wohl,
wenn ich in deinem Leiden,
mein Heil! mich finden soll:
ach möcht ich, o mein Leben!
an deinem Creutze hier
mein Leben von mir geben,
wie wohl geschähe mir!

8 Ich danke dir von Herzen,
o Jesu, liebster Freund!
für deine Todes Schmerzen,
da du's so gut gemeint.
ach gib, daß ich mich halte
zu dir und deiner Treu,
und wenn ich nun erkalte,
in dir mein Ende sey.

9 Wenn ich einmal soll scheiden,
so scheide nicht von mir:
wenn ich den Tod soll leiden
so tritt du denn herfür:
wenn mir am allerbängsten
wird um das Herze seyn,
so reiß mich aus den Aengsten,
kraft deiner Angst und Pein.

10 Erscheine mir zum Schilde,
zum Trost in meinem Tod,
und laß mich sehn dein Bilde
in deiner Creutzes Noth,
da will ich nach dir blicken,
da will ich Glaubens-voll
dich vest an mein Herz drücken:
wer so stirbt, der stirbt wohl.

Text Information
First Line: O Haupt, voll Blut und Wunden
Language: German
Publication Date: 1792
Notes: Mel.: Herzlich thut mich
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