19. Eins betrübt mich sehr auf Erden

1 Eins betrübt mich sehr auf Erden,
daß so wenig selig werden;
ach was soll ich fangen an,
weil so viele Menschen sterben,
und so jämmerlich verderben,
wer solt's ich bedenken dann.

2 Ach! wie mag es doch geschehen,
daß so viel zu Grunde gehen,
von all'n Ständen insgemein;
wenig gehen ein zum Leben,
aber ohne Zahl darneben,
was mag doch die Ursach seyn.

3 Gar leicht kan mich dis bescheiden,
weil die Menschen voller Neiden,
leben nicht wies Gott gefällt,
brauchen nur ihr eigen Lüsten,
als wann sie's nicht besser wüsten,
das der Weg zum Himmel schmal.

4 O! was Hoffart ist zu sehen,
sich wie prächtig thut man gehen,
jeder will der größte seyn,
täglich thut der Pracht sich mehren,
man nur tracht't nach grossen Ehren;
geht man so zum Himmel ein.

5 Fressen, sauffen, banketiren,
tanzen, spielen tominieren,
nach dem Fleisch stets leben wohl,
kan man so zum Himmel kommen,
dann geschah zu weh den Frommen,
schwerlich dieses glücken soll.

6 Wenig acht't man jetzt das Lügen,
was gemeiner als Betrügen,
gleich als wär's ein' freye Kunst;
wer schon recht hat muß verlieren,
falsche Sachen thut man zieren,
jetzund gilt nur Geld und Gunst.

7 Wie gemein ist fluchen, schweren,
lästern greulich Gott den Herren,
können's nicht die Kinder klein?
drum kein Wunder das verderben,
jung und alt in Sünden sterben,
fahren so zur Höll hinein.

8 Seines Nächsten Ehr abschneiden,
ihn verfolgen und beneiden,
ist das nicht gemeiner Lauf?
Eins das Andre nur verklaget,
was man denket, von ihm saget,
thut das nicht der größte Hauff?

9 Sag was thut man höher achten,
als mit allen Kráften trachten,
nach dem eitlenGut und Geld,
Gold und Silber, grosse Schätzen,
die der Menschen Seel verletzen,
sucht und liebt die ganze Welt.

10 Welche fremdes Gut besitzen,
werden schmerzlich dafür schwitzen,
ewig in der Hollen-Glut,
ob schon viele dieses wissen,
auch verklagt ihr des Gewissen,
lassen sie doch nicht davon.

11 Wer tracht jetzt nach rechter Tugend,
wie verkehrt ist nicht die Jugend,
wo bleibt Einfalt und die Tren,
der Gott suchet zu gefallen,
wird verspott, veracht von allen,
sieht man täglich ohne Schen.

12 O! du Menschen-kind dich kehre,
merk wie Christus selbst dich lehre,
schau sein Thun undWege an,
Er, die Warheit, Weg und Leben,
nur auf ihn recht acht wolst geben,
besser dir nicht rathen kan.

13 Wilst du in den Himmel bauen,
und erwarten mit Vertruaen,
ein erwünschte Seligkeit,
merk wohl welche Gott gefallen,
sich erniedrigen vor allen,
Demuth ist ihr Fundament.

14 Ohn die wahre Lieb auf Erden,
auch kein Mensch wird selig erden,
lieb recht Gott, den Nächsten mir;
wer die Liebe recht will üben,
fürcht sich jemand zu betrüben,
wird auch Gott erzürnen nicht.

15 Keiner muß sein Lust vollbringen,
sondern bös' Begierden zwingen,
will er in den Himmel ein,
welche hie ihr'n Muth will treiben,
müssen aus dem Himmel bleiben,
mach darnach die Rechnung dein.

16 Armuth gern und willig leiden,
und Verfolgung auch nicht meiden,
ist der auserwählten Speis,
loben Gott aus reinem Herzen,
Leiden willig alle Schmerzen,
selig wer lernt diese Weiß.

17 Wilst du nun gern selig werden,
ey so lebe recht auf Erden,
halt dich bey dem kleinen Hauf,
dann nach diesem kurzen Leben,
wird dir Gott ein ewig's geben,
dich in sein Reicht nehmen auf.

18 Ey, wolan! so laß geschehen,
laß es immer mit mir gehen,
wie Gott will auf dieser Erd';
Herr, du wollest mich dann stärken,
in Gedanken, Wort und Werken,
daS ich nur mag selig seyn.

Text Information
First Line: Eins betrübt mich sehr auf Erden
Author: Johann Nass
Language: German
Publication Date: 1792
Notes: Mel: Treuer Vater deine
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